Erfolgsfaktoren für nachhaltige Prozessverbesserung

In der Praxis habe ich bei der Prozessoptimierung bzw. bei der Verbesserung von Arbeitsabläufen immer dann gute Erfahrungen gemacht, wenn ich zwei wesentliche Faktoren beachtet habe.

 

Erstens: Binde immer die Menschen mit ein, die in den Prozessen arbeiten, sprich: die Mitarbeitenden einschließlich der Führungskräfte. Beteilige sie! Denn sie müssen schließlich den künftigen neuen Prozess mittragen, ihn "leben", wie man heute leider allzu oft nur plattitüdenhaft sagt.


Zweitens: Gehe systematisch nach den Lean Prinzipien vor. Wie diese fünf Prinzipien lauten und was man darunter verstehen kann, erfahren Sie in separaten Beiträgen (https://www.jensalbat.com/flow/flow-in-prozessen/lean-prinzipien/). Im folgenden Text und im verlinkten Filmclip möchte ich zunächst kurz erläutern, wie die Grundsystematik aussieht, nach der ich in der Regel vorgehe. Ich spreche im folgenden von "wir"; damit meine ich meine Auftraggeber und mich als Unterstützer bzw. Berater.

 

I. Herausforderung formulieren, Orientierung schaffen (Fokussierung)

 

Bevor ich wir starten, sollten wir zunächst den Geschäftsprozess eingrenzen, den wir im Rahmen dieses (vielleicht ersten) Verbesserungsvorhabens betrachten wollen. Eingrenzen bedeutet, dass wir Start und Ende festlegen, uns auf einzelne Varianten, Produkte/Dienstleistungen, Fälle, Zielgruppen etc. beschränken. Auf diese Weise stellen wir sicher, dass wir uns auf einen machbaren Umfang fokussieren, statt uns zu viel vorzunehmen und damit einen "Rohrkrepierer" zu riskieren. Nebenbei können wir so auch besser einschätzen, welche Bereiche, Funktionen und Personen wir beteiligen müssen.

 

Bei jeder Prozessoptimierung ist es wichtig, eine Herausforderung zu formulieren, die beschreibt, wohin die Reise gehen soll. Die Herausforderung ist quasi ein Fixpunkt, an dem sich die Beteiligten orientieren können. Oftmals ist die Herausforderung der eigentliche Anlass für das Verbesserungsvorhaben. Es kann sich dabei zum Beispiel um Markt- bzw. Kundenanforderungen handeln, die das Unternehmen in Zukunft bedienen will (z. B. besondere Lösungen, schnelle Lieferung, digitale Vernetzung). Oftmals wird vonseiten der Unternehmensleitung jedoch die Steigerung der Effizienz bzw. die Senkung von Kosten als einzige Orientierungsgröße für die Prozessoptimierung vorgegeben. Dies ist nicht nur sehr einfältig, sondern insbesondere in der Büro- und Wissensarbeit äußerst problematisch, worauf ich an anderer Stelle tiefer eingehe. Ich erlebe häufig, dass die aktuellen Abläufe mit viel Trouble-Shooting behaftet ist und von Mitarbeiterseite der Wunsch oder vielmehr die Forderung nach Entlastung geäußert wird. Ich strebe immer an, alle drei Perspektiven (Kunden, Unternehmen, Mitarbeiter) gleichermaßen bei der Formulierung der Herausforderung zu berücksichtigen. Die Herausforderung enthält übrigens keine fertigen, konkreten Lösungen.

 

II. IST-Prozess darstellen

 

Wenn die Formulierung der Herausforderung bzw. der Orientierung steht, müssen wir mit den Beteiligten ein gemeinsames Verständnis dahingehend entwickeln, wie unsere Ausgangssituation ist. Wir müssen den Ist-Prozess, ergo unsere aktuelle Situation verstehen und stellen daher alle Schritte dar, die wir heute zur Erbringung der Leistung tätigen.

 

Denn es liegt in der Natur von uns Menschen, dass wir voreilige Schlüsse ziehen (siehe Filmclip zum "Gleichnis der Wahrheit") und dann möglicherweise einen Soll-Prozess bzw. Lösungen entwickeln, ohne unsere Ausgangslage zu kennen oder vielmehr unsere eigentlichen Probleme zu verstehen.

 

III. SOLL-Prozess entwickeln

 

Ausgehend vom Bild des aktuellen Prozesses entwickeln wir gemeinsam einen neuen Ablauf (SOLL-Prozess), den wir in einem Zeitraum von drei bis sechs Monaten umgesetzt bzw. mit Leben gefüllt haben wollen.

 

Natürlich können wir auch ganz visionär vorgehen und einen Prozess gestalten, der völlig losgelöst ist von allen gegenwärtigen Rahmenbedingungen und Einschränkungen, quasi den idealen Ablauf auf der "grünen Wiese", ohne im Detail zu wissen, ob und wie wir ihn realisieren können. Das empfehle ich sogar, und bei vollkommen neuen Geschäftsfeldern ist es sogar Pflicht! Denn damit schaffen wir ein gemeinsames, attraktives Zukunftsbild ("Prozess-Vision"), an dem sich alle Beteiligten orientieren können und das eine ungemeine Anziehungskraft entwickeln kann. So wird Innovationskraft freigesetzt und eine zielorientierte, kontinuierliche Weiterentwicklung des Prozesses ermöglicht.

 

Insbesondere bei lange bestehenden Strukturen und Abläufen entstehen aber oft Ängste und Widerstände bei den Betroffenen, wenn es nur eine vage Prozessvision gibt oder der Soll-Prozess in zu weiter Ferne von der aktuellen Startposition ist. Daher ist auch die Ausgestaltung eines konkreten, "greifbaren" Soll-Prozesses notwendig, der für alle Beteiligten in sichtbarer Nähe ist. Denn in der Regel müssen sich ja die Menschen, die in den Prozessen mitarbeiten, verändern und Gewohnheiten aufgeben. Sie müssen sich bewegen - von der Art und Weise, wie sie heute Vorgänge bearbeiten und Aufgaben erledigen, hin zum ersten Soll-Prozess bzw. Etappenziel. Der erste Soll-Prozess wird auch als erster "Ziel-Zustand" bezeichnet, dem möglicherweise viele weitere folgen können, wenn der Motor der Innovation und der kontinuierlichen Verbesserung erstmal ins Laufen gekommen ist.